Nach ihrem Studium war sie als examinierte Jazzgitarristin nach Brooklyn gezogen, und seitdem gehört sie dazu. Am einen Abend spielt sie einen seltsam zerrütteten Progrock mit dem Trio People, am nächsten freie Hardcore-Improvisationen mit dem furiosen Trompeter Peter Evans. Sie lässt im Zusammenspiel mit Marc Ribot die Gitarren krachen oder stellt im Kontakt mit Jazzheroen wie Tim Berne oder Anthony Braxton, der ihr an der Wesleyan University den entscheidenden Anstoss für ihren Weg in die experimentelle Szene gab, oder dem Saxofonisten Tim Berne ihre Musik in den Kontext abgehangenerer Spielformen des Avantgardistischen.
Auf stramm gespannten, dicken Saiten erzeugt Halvorson einen fast schon akustischen Klang, der sich gegen das Getöse des Schlagzeugs und der Bläser durchzusetzen vermag und im Bedarfsfall ohne Druckverlust auch in die Rolle eines Kontrabasses schlüpfen kann. Kraft erfordert dieser Klang, sowohl was die komplexe Kleinarbeit der Greifhand angeht, als auch beim Anschlag. Und wo so viel Kraft im Spiel ist, zwingt man sich, Lösungen jenseits geölter Geläufigkeit zu finden. Der Erfolg dieser Methode ist mittlerweile belegt, er spiegelt sich in zahlreichen Anfragen. Auch in der einschlägigen Presse wird Halvorson wahlweise als "eindrucksvollste Gitarristin ihrer Generation" oder "originellste Jazzgitarristin dieses Jahrzehnts" gepriesen.
Immer war sie die einzige Frau, die Gitarre spielte, und immer musste sie sich anhören, wie toll und aussergewöhnlich das sei. Man gewöhnt sich nicht daran. Es nervt. Auf ihrer MySpace-Seite reagiert Mary Halvorson auf ein solches Lob deutlich. "Ich bin Gitarristin. Ich arbeite hart daran, eine Musik zu schaffen, die originell ist und zum Nachdenken anregt. Das hat nichts damit zu tun, dass ich eine Frau bin. Wenn du die Musik magst, dann bitte, weil sie so klingt, wie sie klingt."
Längst ist Mary Halvorson ein Knotenpunkt in dem Netzwerk von jungen Musikern, die derzeit am Rand der Jazzszene mit neuen Ideen und Energien den Geist der Avantgarde wieder zum Vorschein bringen. Jazz, freie Improvisation, Punkrock, Noise, Neue und Alte Musik, Einflüsterungen aus allen Weltregionen und den verschiedenen Künsten – anything goes in dieser turbulenten Musikszene.
Bei allem Erfolg gibt Mary Halvorson ein merkwürdig aus der Proportion gerücktes Bild ab: die zierliche Gitarristin mit ihrer Gitarre, einem bauchigen Vollresonanzmodell, Guild Artist Award, Herstellungsjahr 1970, die grösste und lauteste Gitarre, die sie finden konnte.
Aber diese Art zu spielen interessierte Mary Halvorson ohnehin nicht, und mit der Funktion der Gitarre im Jazz im Allgemeinen hatte sie immer ihre Schwierigkeiten. "Viele meiner Ideen und Konzepte", erklärt sie, "stammten aus einer Art 'Anti-Gitarren-Haltung'".
(Aus einem Interview mit "Zeit", Okt 2009)
1 Auftritt mit folgender Band: